Nachdem er uns schon vor ein paar Wochen zum Thema „Gesundheitsvorsorge“ Rede und Antwort gestanden hat, beantwortet uns Professor Christoph Bamberger in diesem Interview alle Fragen zum Stressmanagement.
Professor Bamberger ist Internist und Endokrinologe. Er leitet das Zentrum Conradia Medical Prevention in Hamburg, bei dem Stressmanagement zum Gesundheits-Check-Up dazugehört. Professor Bamberger hat schon viele Bücher zu unterschiedlichen Gesundheitsthemen veröffentlicht, darunter auch einige Publikationen zum intelligenten Umgang mit Stress.
Lieber Herr Professor Bamberger, vielen Dank, dass Sie sich wieder Zeit für ein Interview mit uns nehmen. Heute soll es ja um das Thema Stressmanagement gehen. Es heißt bekanntlich „Stress macht krank“. Was passiert im Körper, wenn wir gestresst sind?
Ja, sehr gerne. Vielleicht zunächst einmal: Stress ist eine vollkommen natürliche Reaktion des Körpers auf echte oder eingebildete Stressoren, also Stressauslöser. Wenn wir gar keine Stressantwort hätten, könnten wir nicht überleben. Dann würden wir nämlich in vielen Situationen nicht adäquat reagieren können. Man unterscheidet dabei zwischen äußeren und inneren Stressoren. Äußere Stressoren sind Reize, die aus der tatsächlichen äußeren Umgebung resultieren. Ein typischer äußerer Stressor ist im beruflichen Kontext eine Deadline, die gar nicht oder nur schwer zu schaffen ist. Bei inneren Stressoren handelt es sich um Reize, die individuell als stressig wahrgenommen werden. Das kann am eigenen Anspruch, an der eigenen Wahrnehmung oder auch an generellen Ängsten liegen.
Aber egal, ob echt oder eingebildet, das ist dem Gehirn relativ egal, es reagiert immer mit einer Stressreaktion. Vom Gehirn geht die Stressreaktion über das Nervensystem und das Hormonsystem in den Körper. Bei dem Nervensystem passiert das hauptsächlich über die Ausschüttung von Adrenalin, das ist die sogenannte „akute Stressreaktion“. Diese ist von der Natur erfunden worden, damit wir in einer gefährlichen Situation entweder schnell weglaufen oder kämpfen können (= „fight or flight“). Hierbei wird der Blutdruck erhöht und Blutzucker zur Verfügung gestellt. Es wird also Energie mobilisiert, damit wir uns der Auseinandersetzung stellen können. Eine solche Stressreaktion haben wir in allen möglichen Situationen, auch im Straßenverkehr. Das lässt sich kaum vermeiden, ist aber ab und zu auch nicht schlimm.
Wenn allerdings ein Stressor nicht weggeht, z.B. ein beruflicher Konflikt über Monate am Arbeitsplatz besteht, dann entsteht der berühmte „chronische Stress“. Dieser hat mit dem Adrenalin nichts mehr zu tun. Der chronische Stress wird durch das viel länger wirksame Cortisol, das Stresshormon aus der Nebennierenrinde, vermittelt. Und das ist der Stress, der uns krank macht. Cortisol ist – wie der Name schon sagt – von der Wirkung her wie Cortison. Und wir wissen alle, wie ein Mensch aussieht und wie er sich fühlt, wenn er hohe Dosen Cortison über eine längere Zeit bekommt. So jemand hat häufig mit einer Gewichtszunahme zu kämpfen, die Haut wird dünner, er hat Blutungen, er bekommt Diabetes und er bekommt Bluthochdruck. Und das wiederum sind Faktoren, die, wenn die Phase lange andauert, zu Herzinfarkt und Schlaganfall führen. Das ist in knappen Worten der Mechanismus, über den chronischer Stress uns krank macht.
Ab welchem Zeitraum kann man denn von chronischem Stress sprechen?
Das Cortisol kommt schon nach mehreren Tagen, aber erst nach 3 Monaten richtet es wirklichen Schaden an. Also bei jeder über 3 Monate andauernden Stressphase sollte man sich überlegen, wie man da wieder rauskommt und was man tun kann, um abzuschalten. Diese 3 Monate sind zwar eine etwas künstliche Grenze, aber sie entsprechen – unserer Erfahrung nach – dem Zeitpunkt, ab dem die Probleme beginnen.
Bestimmt gibt es aber auch individuelle Grenzen bzw. Belastbarkeiten, oder? Woran erkenne ich, dass ich zu viel Stress habe?
Ich erkenne das daran, dass körperliche Symptome auftreten. Also wenn man sich nicht nur gestresst fühlt, sondern sich das Organ meldet, das bei einem am empfindlichsten auf Stress reagiert. Bei dem einen ist das der Darm, ein anderer bekommt Rückenschmerzen. Dann gibt es Leute, die Schwierigkeiten mit hohem Blutdruck bekommen und andere, die mit Kopfschmerzen und Schlafstörungen zu kämpfen haben. Eine solche Reaktion in Form von Symptomen ist eine Alarmglocke. Ab diesem Zeitpunkt sollte man allerspätestens handeln. Wenn man eine solche Reaktion des Körpers über einen längeren Zeitraum ignoriert, dann droht ein Burnout. Bei diesem kommt die Cortisol-Produktion dann nicht mehr nach und es wird ein sogenannter „Low Cortisol State“ erreicht. Der Burnout ist das Spätstadium, das man nicht erreichen sollte und auch nicht erreichen muss. Es gibt niemanden, der sich nur chronisch gestresst fühlt, aber dem es körperlich komplett gut geht.
Stellen Sie denn fest, dass bestimmte Personengruppen besonders stressgefährdet sind? Ist das eher die Führungskraft, die beruflich eingespannt ist oder eher die alleinerziehende Mutter?
Ja, das ist eine gute Frage. Es kommt zum einen darauf an, was man als natürlich ansieht und was nicht. Die alleinerziehende Mutter nimmt ihre Aufgaben als richtig und als wichtig wahr. Für ihr Kind ist sie bereit, alles zu tun. Diese Sinnhaftigkeit fehlt vielleicht beim Manager, der schon 18 Stunden gearbeitet hat und trotzdem glaubt, eine Deadline nicht zu erreichen. Zu diesem Gefühl von Sinnlosigkeit und Überforderung kommt ggf. auch noch die Angst hinzu, aufgrund der nicht abgelieferten Arbeitsleistung gefeuert zu werden. Ganz häufig beobachten wir chronischen Stress bei Managern, die in einer Sandwich-Position sind, also von oben und von unten Druck bekommen. Auch Inhaber von mittelständischen Unternehmen haben häufig Existenzängste, resultierend aus einem Nicht-Funktionieren der Firma oder auch einem Sonderereignis wie einer Hochwasserkatastrophe oder ähnlichem. Das sind Stressoren, die man nicht einfach wegdiskutieren kann.
Was kann man dann tun? Welche Stresskiller funktionieren bei den meisten Leuten?
Ich habe ein Buch mit dem Titel “Stressintelligenz” geschrieben. In diesem Buch zeige ich drei Schritte auf.
Der erste Schritt ist die Identifikation und Reduktion der Stressoren. Man sollte sich hinsetzen und überlegen, welche Stressoren man rauskicken kann. Uns begegnen ja tagtäglich ganz viele Stressoren. Schon der Weg zur Arbeit beinhaltet für viele Leute Stress. Auch von Meetings, die den Tag nur voller und anstrengender machen, ohne etwas zu bringen, sollte man sich trennen. Ebenso betrifft das den privaten Bereich. Hier sollte man sich fragen: „Welche Begegnungen bringen mir wirklich etwas?“ Manche Stressoren kann man natürlich nicht aussortieren, vor allem im beruflichen Kontext. Aber möglicherweise gibt es eine berufliche Konstellation, die nicht so enorm belastend ist.
Der zweite Schritt ist der Aufbau von Resilienz, also die Idee, den Körper widerstandsfähiger zu machen. Ich brauche eine Art Panzer gegenüber den Stressoren, die noch übriggeblieben sind. Zu einem enormen Stressabbau führt bspw. körperliche Betätigung in Form von Sport. Man könnte sich vornehmen, ab jetzt jeden Tag 5 km spazieren zu gehen oder eine Sportart ausüben, die einem Spaß macht. Auch gesunde Ernährung ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig.
Im dritten Schritt geht es darum, die Psyche widerstandsfähiger zu machen. Dabei sollte man eine individuell passende Methode finden, um jederzeit aktiv runterfahren zu können. Manchen Leuten hilft Spiritualität. Andere Menschen, die eher rational geprägt sind, kommen gut mit autogenem Training oder entspannenden Hörbüchern klar.
Wie wichtig ist guter Schlaf in diesem Zusammenhang?
Die Bedeutung eines guten Schlafs kann gar nicht überschätzt werden. Er ist ganz klar in der Prävention eine heilige Sache. Wichtig ist natürlich, dass man – wenn man zu den etwas leichteren Schläfern gehört – nicht den Anspruch hat, dass eine bestimmte Zahl wie 7 oder 8 Stunden erreicht wird. Das wird zwar immer gebetsmühlenartig wiederholt, aber so einfach ist es nicht. Es geht primär darum, sich morgens erholt zu fühlen. Wenn 5 Stunden reichen, muss man sich auch nicht zwingen, länger zu schlafen. Aber die meisten Personen brauchen schon 7 Stunden Schlaf. Schlaf ist die Entspannungsmethode, die allen anderen überlegen ist. Selbst der Power Nap mittags kann viel Erholung bringen. Aber dieser sollte im Übrigen nicht nach 15 Uhr stattfinden und auch nicht länger als eine halbe Stunde andauern. Ansonsten wird der Nachtschlaf gestört. Also wenn ich den Effekt von Schlaf im Bereich des Stressmanagements einsortierten sollte in „wichtig, unwichtig, mittelwichtig“, dann kann ich nur sagen „extremwichtig“.
Lieber Herr Professor Bamberger, vielen Dank für das sehr interessante Interview.
Weiterführende Informationen:
Buch zum Thema Stress-Intelligenz von Professor Bamberger
Kurz-Vorstellung der Gesundheits-Check-Ups bei Conradia Medical Prevention
Webseite von Conradia Medical Prevention